Juni 2011  

Die beiden Bungen: Bachbunge und Salzbunge

Die Salzbunge / Samolus valerandi

[Hinweis: Das Quellenverzeichnis zu BECK- MANNAGETTA*, BAUHINUS*, FISCHER*, FUCHS*, GRIMM*, HAHNEMANN*, JANCHEN*, MARZELL*, NEILREICH* und ZEDLER* befindet sich am Ende des Beitrages.]

Bild 01: Hansybach_29. Juni 2011_Fundort der Salzbunge
Am 29. Juni 2011 wurde mit dem Rückschnitt der Ufergehölze am Hansybach begonnen. Die Teilbilder zeigen wuchernde Buddlejen und Platanen. Einige Tage später waren alle Bäume und Sträucher so weit beschnitten, dass sie keinen nennenswerten Schatten werfen konnten.Am 29. Juni 2011 wurde mit dem Rückschnitt der Ufergehölze am Hansybach begonnen. Die Teilbilder zeigen wuchernde Buddlejen und Platanen. Einige Tage später waren alle Bäume und Sträucher so weit beschnitten, dass sie keinen nennenswerten Schatten werfen konnten

 Die Blätter verschiedener Gehölze haben sich in Fugen der Ufermauern am Hansybach angesiedelt. Die gleichmäßige Wasserversorgung im Nahbereich des Baches begünstigen üppiges Wachstum der Triebe und Blätter. Efeu, Eschen, Blauglockenbäume, Platanen, Birken, Holler, Schmetterlingssträucher, Weigelien und weitere Gehölzarten bilden streckenweise ein dichtes „Ufergehölz", das Bach und Ufer stark beschattet.
In den letzten Jahren wurden diese Bäume und Sträucher schon mehrmals radikal zurückgeschnitten, um einer lichtbedürftigen krautigen Pflanzenart, der Salzbunge, Bunge oder Punge / Samolus valerandi, das Überleben zu ermöglichen.

Bild 02: Samolus valerandi_Hansybach_17. August 2007
Noch lassen die Platanen und Weigelien ausreichend Licht zu den Blättern einer Salzbunge (Pfeil) gelangen. Ein Jahr später war diese Stelle wieder vollständig beschattet.

Noch lassen die Platanen und Weigelien ausreichend Licht zu den Blättern einer Salzbunge (Pfeil) gelangen. Ein Jahr später war diese Stelle vollständig beschattet.

Der deutsche Büchername klingt eigenartig und nicht vertraut. Er wurde erst von den Botanikern des 16. Jahrhunderts geschaffen, da die Pflanze keinen Volksnamen hatte. Vermutlich deshalb, weil die Bunge kaum genutzt wurde, obwohl der römische Schriftsteller Plinius (gestorben beim Ausbruch des Vesuvs 79 v.Chr.) berichtet, dass die gallischen Druiden mit Samolus eine Heilpflanze feuchter Standorte bezeichnet haben sollen[1] . Leonhard FUCHS nennt 1534 in seinem berühmten „Kreutterbuch" [2], in dem er von allen Pflanzenarten, die damals als Heil-, Nahrungs- oder Gewürzpflanzen verwendet wurden, Aussehen, Nutzung und Heilwirkung beschreibt, nicht.

J.H. ZEDLER [3] schreibt im Band 33 (Halbseite 1714) seines vielbändigen „Universallexikon[s] aller Wissenschaften und Künste", der 1742 erschienen ist: „Samolus [...] Dieses Kraut wächst an wäßrichten Orten. Es schmeckt bitter, und blühet im Junius. Es öffnet und dienet wider den Scorbut, reiniget, und ist gut zu den Wunden."

Zu Ende des 18. Jahrhunderts wird von Samuel HAHNEMANN [4], dem Begründer der Homöopathie, nur über frühere Verwendungen berichtet: „Pungensamoskraut, Samolus Valerandi, L. [FLOR. DAN. tab. 198.] [5] ein etwa fußhohes Kraut mit zweijähriger Wurzel am Meerufer, an Teichen, in Gräben und an Quellen, welches im July und August kleine weiße Blüten trägt. Man hat ehedem die bitterschmeckenden, denen des Bachbungenehrenpreises ähnlichen Blätter (Hb. Samoli, Anagallidis aquaticae) für scharbockwidrig gehalten, und die ganz jungen als Sallat genossen."

[1] MARZELL 4: 8  [2] FUCHS 1534  [3] ZEDLER Universallexikon  [4] HAHNEMANN   Samolus  [5] Samolus FLORA DANICA tab. 198

Thumbnail Samolus Flora danica



Bild 03: Samolus valerandi_Hansybach_06.07.2011
Die Blüten und Früchte sind in Trauben angeordnet. Die Tragblätter, die bei den meisten Pflanzenarten an der Hauptachse (am Stängel) sitzen (und aus deren Achseln die Blütenstiele entspringen), sind hier in Richtung Blüte vorgeschoben und mit dem Blütenstiel verwachsen.

Die Blüten und Früchte sind in Trauben angeordnet. Die Tragblätter, die bei den meisten Pflanzenarten an der Hauptachse (am Stängel) sitzen (und aus deren Achseln die Blütenstiele entspringen), sind hier in Richtung Blüte vorgeschoben und mit dem Blütenstiel verwachsen.

August NEILREICH und Günther BECK-MANNAGETTA haben die Bunge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im südlichen Wiener Becken noch häufig angetroffen, JANCHEN beschreibt ihr Vorkommen etwa ein Jahrhundert später als „zerstreut" und nennt etwa ein Dutzend Fundorte im Wiener Becken, u. a. auch Vöslau. JANCHEN kannte aber das Vorkommen am Hansybach nicht, beschreibt als Standorte „schwach salzige, feuchte Wiesen, Salzsümpfe, auch andere feuchte und moorige Wiesen." Die Angabe der Standorte mit salzhältigen Böden beziehen sich auf den Seewinkel, wo die Salzbunge heute auch nur mehr selten vorkommt und als „stark gefährdet" im Sinne der Roten Liste bewertet wird (FISCHER & FALLY), JANCHEN berichtet 1977 noch, dass die Salzbunge um den Neusiedler See häufig vorkommt.

Bild 04: Samolus valerandi_Hansybach_07. Juli 2011
Eine Salzbunge an der Ufermauer am Hansybach, gemeinsam mit Zimbelkraut / Cymbalaria muralis

Eine Salzbunge an der Ufermauer am Hansybach, gemeinsam mit Zimbelkraut / Cymbalaria muralis

Unser Fundort ist außergewöhnlich. BECK-MANNAGETTA nennt als Standorte auch Wiesengräben. Es wird die Salzbunge in unserer Heimatgemeinde wohl auf den feuchten Wiesen im Osten des Gemeindegebietes ebenso vorgekommen sein wie in den Böschungen der Gräben, so auch des Abflusses der Thermalquellen vor Errichtung der Ufermauern. Durch einen glücklichen Zufall werden Samen der Salzbunge die Bauarbeiten überlebt und den Weiterbestand dieser Population gesichert haben.

Bild 04A: Samolus valerandi_östlich von Vöslau_17. Oktober 2011 & 24. Juni 2012
NACHTRAG: Wenige Wochen nach der Fertigstellung dieser Seite konnte ich in einem Drainagegraben östlich von Bad Vöslau  einige Salzbungen entdecken. Sie waren schon abgeblüht  und in Fruchtreife begriffen (li oben). Im Juni 2012 blühten ganz wenige Pflanzen (re und unten).  Gefährdet ist diese Population durch stark wuchernde Hochstauden, die bei guter Wasserversorgung und wohl auch reichlichem Düngergenuss dort üppig wuchern.

fruchtende und blühende Pflanzen der Salzbunge


Bild 05: Samolus valerandi_Hansybach_06. Juli 2011
Blick in eine Blüte von schräg oben: Die fünf weißen Kronblätter sind miteinander verwachsen, jedem Kronblatt ist innen ein Staubblatt (mit gelbem Pollen) vorgestellt, zwischen den Kronzipfeln erkennt man weiße längliche Strukturen, die als Reste eines ehemaligen zweiten Staubblattringes, der im Verlaufe der Evolution verkümmert ist, interpretiert werden kann. Die Kelchblätter sind im unteren Teil miteinander verwachsen.
Der halbunterständige Fruchtknoten mit der Narbe ist tief in der Blüte verborgen und daher nicht zu sehen, gut erkennen kann man aber die runden Kapseln, die sich daraus entwickeln. Sie sind mit dem unteren Teil des Kelchblattringes verwachsen.

Blick in eine Blüte von schräg oben: Die fünf weißen Kronblätter sind miteinander verwachsen, jedem Kronblatt ist innen ein Staubblatt (mit gelbem Pollen) vorgestellt, zwischen den Kronzipfeln erkennt man eine weiße längliche Struktur, die als Reste eines ehemaligen zweiten Staubblattringes, der im Verlaufe der Evolution verkümmert ist, interpretiert werden kann. Die Kelchblätter sind im unteren Teil miteinander verwachsen. Der halbunterständige Fruchtknoten mit der Narbe ist tief in der Blüte verborgen und daher nicht zu sehen, gut erkennen kann man aber die runden Kapseln, die sich daraus entwickeln. Sie sind mit dem unteren Teil des Kelchblattringes verwachsen.

Die Salzbunge zählt zweifelsohne zu den Raritäten der Flora Österreichs. Wiesenpflanzen können nur überleben, wenn entsprechende Pflegemaßnahmen starke Beschattung durch Verbuschung oder Bewaldung verhindern. Das gilt auch für diesen Standort. Die regelmäßige Reduzierung der Ufergehölze ist daher eine unbedingt notwendige Maßnahme zur Biotoppflege für eine stark gefährdete Pflanzenart.

Bild 06: Samolus valerandi_Hansybach_11.September 2010
Junge Pflanzen der Salzbunge mit den charakteristischen Blättern: kahl, glänzend, verkehrt-eiförmig bis spatelförmig (FISCHER & al. 2008: 81f)

Junge Pflanzen der Salzbunge mit den charakteristischen Blättern: kahl, glänzend, verkehrt-eiförmig bis spatelförmig (FISCHER & al. 2008: 81f), fast sitzend, die unteren etwas deutlicher gestielt

 


Bach-Ehrenpreis, Bachbunge / Veronica beccabunga


Bild 07: Veronica beccabunga_am Rohrbach_14.07.2011
Die Samenkapseln der Bachbunge sind von der Seite gesehen auch rundlich, meist breiter als länger, von oben betrachtet aber nicht so rund wie jene von der Salzbunge, sondern nur etwa halb so dick wie breit. Auch sind sie, im Gegensatz zu jener der Salzbunge, zweiteilig, von außen durch eine Furche deutlich gegliedert (vgl mit Bild 03).

Die Samenkapseln der Bachbunge sind von der Seite gesehen auch rundlich, meist breiter als länger, von oben betrachtet aber nicht so rund wie jene von der Salzbunge, sondern nur etwa halb so dick wie breit. Auch ist sie , im Gegensatz zu jener der salzbunge z, zweiteilig, von außen durch eine Furche deutlich gegliedert.(vgl mit Bild 3)

Der Name „Bunge" oder „Punge" taucht in Verbindung mit „Bach" schon bei Leonhard FUCHS 1534 auf. Im „GRIMM" findet das Wort „Bunge" im Zusammenhang mit Veronica beccabunga keine plausible Erklärung. MARZELL hält eine Deutung für möglich, die sich auf die rundlichen Fruchtkapseln bezieht und die an das mhd. bunge ´Knolle´ anschließt. Der botanische Artbeiname beccabunga dürfte die latinisierte Version des deutschen „Bachpungen" oder des belgischen „Beeckpunghen" sein (MARZELL 4: 1056)*. Jedenfalls hat L. FUCHS die alten deutschen Volksnamen „Bachpung", „Wasserpung" oder „Pung" für Veronica beccabunga übernommen (gibt aber als damals gebräuchlichen „Apothekernamen" ´Anagallis aquatica´ an). Die älteren Botaniker sahen die Salzbunge als eine Art der Bachbunge an und fassten sie mit dieser als „anagallis aquatica" zusammen (MARZELL). So nannte BAUHIN 1623 die Bachbunge / Veronica beccabunga „I. Anagallis aquatica major folia subrotu[n]do"[1a] auch „Anagallis sive Beccabunga. Ger"[1b], für die Salzbunge / Samolus valerandi lesen wir bei ihm „VI: Anagallis aquatica folio rotundo non crenato"[1c].
[1] BAUHIN : 252_[a]: Die größere Anagallis aquatica mit beinahe rundem Blatt_[b]: Anagallis oder Beccabunga Germanica_[c] Anagallis aquatica mit rundem, nicht gekerbten Blatt.

 

 

Bild 08: Veronica beccabunga_am Rohrbach_01. Juni 2008
Bei der Bachbunge stehen die Blätter paarweise einander gegenüber, sind auch im oberen Bereich des Sprosses zumindest etwas gestielt und haben gesägte Blattränder. Die Trauben mit kräftig- bis hellblauen Blüten entspringen in den Achseln der Stängelblätter. Sie sind elliptisch bis eiförmig, in- oder etwas unterhalb der Mitte am breitesten.

Bei der Bachbunge stehen die Blätter gegenüber, sind auch im oberen Bereich des Sprosses zumindest etwas gestielt und haben gesägte Blattränder. Die Trauben mit kräftig- bis hellblauen Blüten entspringen in den Achseln der Stängelblätter.Sie sind elliptisch bis eiförmig, in- oder etwas unterhalb der Mitte am breitesten.

Die beiden „Pungen" haben ähnliche Blattformen und beide entwickeln aus den Fruchtknoten Fruchtkapseln, in denen die Samen heranreifen, beide haben glatte Stängel- und Blattoberflächen. Damit sind die Übereinstimmungen aber schon aufgezählt. Unterschiedlich sind u.a. die Blattstellung (bei Samolus wechselständig, bei Veronica beccabunga gegenständig) und der Blütenbau (bei Samolus 5zählige Blüten mit zusätzlichen Staminodien (=Staubblätter ohne Staubbeutel) zwischen den Kronzipfeln und halbunterständigen Fruchtknoten, bei Veronica beaccabunga 4 zählige Blüten mit 2 Staubgefäßen und einem oberständigen Fruchtknoten).


Bild 09: Veronica beccabunga_am Rohrbach_14. Juli 2011
Wipfel einer Blütentraube mit einer geöffneten Blüte: 4 Kronblätter, zwei Staubgefäße, ein oberständiger Fruchtknoten mit einer Narbe, außen vier Kelchblätter

Gipfel einer Blütentraube mit einer geöffneten Blüte: 4 Kronblätter, zwei Staubgefäße, ein oberständiger Fruchtknoten mit einer Narbe, außen vier Kelchblätter

Die Gattung Samolus ist die einzige in der Familie der Salzbungengewächse / Samolaceae, die mit zwei weiteren Familien, den Myrsinengewächsen und den Primelgewächsen in der Ordnung Primelartige / Primulales zusammengefasst werden. Die Gattung Veronica ist eine von 118 (davon 15 in Österreich vorkommenden) Gattungen der Familie der Löwenmaulgewächse / Antirrhinaceae, die mit weiteren 12 (sieben durch einheimische Arten repräsentierten) Familien die Ordnung der Rachenblütenartigen / Scrophulariales bilden. (FISCHER &. al 2008: 17, 677f)

HAHNEMANN  (Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 79.) berichtet, dass die Blätter der Bachpunge vorbeugend gegen den Skorbut gegessen wurde: „Bachbungenehrenpreiß, Veronica beccabunga L. [Zorn pl.med. Tab. 202.] mit Blumentrauben, welche an den Seiten hervorkommen, mit eirunden, platten Blättern und kriechendem Stengel, eine bekannte mehrjährige auf niedrigen feuchten Plätzen, vorzüglich an Quellen, welche Winters nicht zufrieren, häufige Pflanze, welche vom Frühling bis Herbst blau blüht. Des ausgepreßten Saftes vom frischen Kraute (herb. beccabungae), welches jung fast keinen Geschmack und Geruch hat, im Alter aber einen kreßartigen Geruch und bittern Geschmack erlangt, hat man sich von jeher häufig als scharbockwidrigen Mittels bedient, und wie man ziemlich undeutlich sagte, das Blut zu reinigen. Die ihm überdem beigelegten Tugenden beruhen, soviel an ihnen wahr ist, sämmtlich auf seiner nicht sehr starken antiskorbutischen und harntreibenden Kraft. Er wird selten mehr allein verordnet, gewöhnlich nur mit andern scharbockwidrigen Kräutern zum Safte ausgepreßt, zu welchem Behufe man dann die ältern Pflanzen, als die kräftigeren, auszuwählen hat."

 Veronica beccabunga ZORN 1781

Bild 10 : Veronica beccabunga_im Rohrbach_01. Juni 2008
Die Bachbunge wächst meist in dichten Beständen im durchfluteten Uferbereich von klaren Bächen oder auch im Bachbett im fließenden Wasser.

Die Bachbunge wächst meist in dichten Beständen im durchfluteten Uferbereich von klaren Bächen oder auch im Bachbett im fließenden Wasser.

 

Ähnliche Fundorte, ein Ähnlichkeit im Erscheinungsbild der vegetativen Pflanzenteile und die einst gleiche Verwendung werden wohl der Grund für die Übereinstimmung der deutschen Volks- und Büchernamen für Samolus valerandi und Veronica beccabunga gewesen sein. F. HÖFER berichtet über einen Dialektnamen für die Bachbunge: „Båpoiss´n (Bachp.) als Suppenkräutl bei Znaim und Vöslau  - Veronica beccabunga".

Bild 11: Samolus & Veronica beccabunga 01.jpg
Eine Gegenüberstellung der Merkmale: Wuchsform, Kapsel, Blütenstand, Blattform (obere kleine Blätter)_ Links: Salzbunge / Samolus valerandi - rechts: Bachbunge / Veronica beccabungaEine Gegenüberstellung der Merkmale: Wuchsform, Kapsel, Blütenstand, Blattform (obere kleine Blätter)_ Links: Salzbunge / Samolus valerandi - rechts: Bachbunge / Veronica beccabunga

 

 

>>>>>>>>>>>>>>>> An alle „Wildkräutersammler":
Schon vor über 200 Jahren hat HAHNEMANN von der „ehemaligen" (!) Verwendung der Blätter der Salzbunge berichtete. Damals war sie noch häufig anzufinden. Unsere Pflanzen im Hansybach - heuer blühen etwa 15 Individuen - bedürfen der absoluten Schonung!!!