Mai 2016

 Orchideen  / Orchidaceae 1

Von den vier in Österreich heimischen Ophrys-Arten wurden auf Vöslauer Boden drei beobachtet:
die Hummel-Ragwurz / Ophrys holoserica (O. fuciflora),
die Bienen-Ragwurz / Ophrys apifera und
die Fliegen-Ragwurz / Ophrys insectifera (O. muscifera)
holosericus: spätlat. “seidenweiß“ nach der überwiegend weißen Farbe der Sepalen  [GENAUST: 292]
fuciflora:  fucus = Drohne [1] „drohnenblütig“,  hummelblumig
apifera:  apis = Biene, fer = tragen;  bienentragend
muscifera:   musca = Fliege
[1] GENAUST [: 257] bewertet diese Deutung als falsch. GEORGES [: 1074] kennt fucus zwei mal:
 1. eine Steinflechte, die zur Purpurfärbung erforderlich war, übertragen jeder rote Farbstoff, aber auch "v. rötlichen Bienenharz [..](prpolis)"; auch rote Schminke;   2. Brutbiene, Drohne

Bild 01: li: Ophrys holoserica_Hüterriegel_8. Mai 2011_Mitte: Ophrys apifera_Reisacherberg_31. Mai 2014_re: Ophrys insectifera_Mariazeller Zwickel_19.05.2016
3 Ragwurzarten

Die Arten der Ragwurz / Ophrys aus der Familie der Orchideen / Orchidaceae  fallen durch Unterlippen, die Insekten ähnlich sehen, auf. Die Männchen bestimmter Hautflüglerarten werden dadurch angelockt und reagieren auf die Blüten wie auf die Weibchen ihrer Art:  Sie versuchen mit den Blüten zu kopulieren. Dabei werden ihnen Pollenpakete angeheftet, die an den Narben der nächsten besuchten Blüte haften bleiben. 

In langjährigen und aufwendigen Freilandstudien konnten Wiener Wissenschafter  in zahlreichen Wahltests zeigen, dass jede der zahlreichen im Mittelmeerraum lebenden Ophrys-Arten nur einen einzigen effektiven Bestäuber hat [1].  Das gilt auch für die wenigen heimischen Arten: Ophrys holoserica wird nur von der Pelzbiene Eucera longicornis, Ophrys insectifera nur von der Grabwespe Argogorytes mystaceus effektiv bestäubt. (Für die in Vöslau bisher noch nicht aufgefundene Spinnen-Ragwurz /Ophrys sphaegodes wurde nur die Sandbiene Andrena nigroaenea beobachtet [2].) Von der Bienen-Ragwurz sind keine Bestäuber bekannt. Sie bestäubt sich selbst.

Nicht nur  Gestalt und Farbgebung der  Unterlippe täuschen den  Männchen Weibchen vor, auch  die von Art zu Art unterschiedlichen Duftstoffe regen die Männchen, gesteuert von angeborenen Auslösemechanismen,  zum Suchen nach den Blüten an: Die Blüten der einzelnen Ragwurzarten verströmen ganz bestimmte Duftstoffe in ganz bestimmten Mischungsverhältnissen und Konzentrationen,  die genau jenen entsprechen, die kopulationsbereite Weibchen der diese Ragwurzart  bestäubenden Hautflügler  als Sexuallockstoffe  abgeben [3].
[1] PAULUS 2007: 256     [2] GRIEBL: 281, 282, 284    [3] PAULUS 2007: 261f

 Informationen zu tieferen Einblicken in dieses Phänomen und dessen Erforschung:
*  Untersuchungen und Experimente zur bestäubungsbiologischen Bedeutung der Blüten-Zeichnugsvarianz bei Ophrys heldreichii
Projektleiter: Univ.- Prof. Dr. Hannes F.  PAULUS      O. heldreichii
* Wie Orchideen ihre Bestäuber manipulieren

Susanne Strnadl  im Standard.at vom  24. Jänner 2014, 18:52
mit  Foto: Männliche Langhornbienen im Anflug auf eine Blüte der Heldreich-Ragwurz
und Video: Anflug, Kopulationsversuche und das Scannen der Blüte von Ophrys heldreichii durch ein Männchen der Langhornbiene Eucera berlandi.     standard_orchideen
*  PAULUS 2007:   Zobodat PAULUS 2007

 

 Bild 02a: Ophrys insectifera_20.05.2016_Mariazeller Zwickel
Teile der Blüte der Fliegen-Ragwurz, zusammengestellt nach Xflora: 1048 Abb. und1044, GRAF: 130f und RUEDI Peter: Die Orchideenblüte.—Homepage der AGEO (Arbeitsgruppe einheimische Orchideen_Schweiz (orchideenblüte AGEO)

Teile der Ophrysblüte

Jede Blüte hat außen drei etwa gleiche Kelchblättern (KB = Sepalen) und innen  drei Kronblätter (KroB = Petalen), von denen zwei klein und schmal sind (pKroB = paarige Kronblätter), das dritte aber zu einer bunten Lippe mit auffallendem Muster ausgeformt ist (3. KroB = L). Der Pollen (P) steckt in den beiden Fächern  (Th = Theken) des einzigen Staubgefäßes. Die beiden Theken sind durch ein steriles Gewebe, das Konnektiv verbunden (im Bild in der Ansicht von vorne nicht zu sehen), und mit der Griffelsäule, die die Narbe (N) trägt, zu dem Säulchen (Gynostemium)  verwachsen ist. Das Säulchen wird durch einen Fortsatz des Konnektivs (K) verlängert und ist in Länge und Gestalt bei den einzelnen Arten verschieden:  Ophrys insectifera hat ein kurzes Säulchen mit stumpfem, kurzen Konnektivfortsatz  (K im Bild 02a), O. holoserica hat eine längeren abgerundetem Fortsatz, bei O. apifera ist der Fortsatz lang und schließt mit einem gebogenen Schnabel ab (K in Bild 02b).

 Die Pollenkörnchen sind bei den  meisten  heimischen Orchideen in den Staubbeuteln nicht  staubförmig [1] sondern durch schleimige Fäden zu Pollenpakten (P = Pollinien) verbunden, die auf Stielen (St = Caudicula) angeheftet sind, an deren Füßen klebrige Scheibchen (KSch =Klebscheibe = Viszidium) sitzen, die von einer dünnen Haut  umgeben sind.  Dringt ein Insekt in das Innere der Blüte vor, zerreißt es dieses Häutchen und die Klebscheibchen der Pollenpakete haften an dem Insekt fest.  Beim Besuch der nächsten Blüte bleiben  Pollenpakete an deren Narbe (N) haften. (Das Säulchen ist in der Ansicht von vorne (Bild 2a) von den Fächern des Staubgefäßes verdeckt (vgl Bild 2b & 7)
[1]  nur beim Frauenschuh, der in Vöslau nicht vorkommt

Bild 02b: Ophrys holoserica_06.05.2002_Pfaffstätten & Ophrys apifera_01.06.2014_Reisacherberg.jpgOphrysblüten von der Seite

 

Hummel-Ragwurz / Ophrys holoserica (O. fuciflora)

Bild 03: Ophrys holoserica_Mai 2003(?)_Sonnenweg
Einige Tage, nach dem diese Bilder gemacht wurden, befand sich an dieser Stelle, wo die Ragwurz stand, nur  mehr ein Loch.  Offensichtlich hatte ein „Orchideenliebhaber“ unerlaubterweise  die Ragwurz  ausgegraben.
ALLE ORCHIDEEN SIND GÄNZLICH GESCHÜTZTE PFLANZENARTEN
(NÖ Naturschutzgesetz 2000   § 18, Abs. 4, Z. 1 & Anlage 1  
NSchG NÖ)

Bienen-Ragwurz am Standort

 

 

Bild 04: Ophrys holoserica 31. Mai 2006_an der Remise
2006 war zwischen dem Ostrand der Remise und dem Weg entlang des Autobahnzaunes eine Trespenrasen, in dem einige junge Schwarz-Föhren, die sich aus  Samenanflug entwickelt hatten,  wuchsen. In den Trespenrasen waren  zusätzlich junge Föhren gesetzt worden. Inzwischen  hat der Trespenrasen als Folge der Beschattung weitgehend dem  Föhrenwald weichen müssen. In den letzten Jahren konnte diese Orchiedeenart in diesem Bereich nicht mehr beobachtet werden.

Bienen-Ragwurz in einem Trespenrasen

Bild 05: Ophrys holoserica_08. und 15. Mai 2011_Hüterrriegel 
 
Die Kelchblätter der Hummel-Ragwurz sind weiß, manchmal auch etwas rosa, oft mit zartgrünem Mittelstreifen, die beiden paarigen Kronblätter ähnlich gefärbt wie die Kelchblätter (oder etwas intensiver rosa), die Lippe ist rundlich bis trapezförmig mit einem deutlichen, nach vorne gebogenen hellen Anhängsel. Die Konnektivfortsatz sind  ziemlich kurz und enden meist in einer abgerundeten Spitze [1].

 Neben den Männchen der Langhornbiene Eucera longocornis, die die exklusiven Bestäuber der Hummel-Ragwurz sind,  wird über Besuche von Männchen des Gartenlaubkäfers  Phyllopertha horticola und einer Schwebfliege aus der Gattung Microdon berichtet, die wohl von einem Teil der Duftstoffe angelockt werden und bei Kopulationsversuchen auch Pollenpakte angeheftet bekommen und so auch hin und wieder Blüten der Hummel-Ragwurz bestäuben dürften [2].
[1] O. holoserica AGEO       [2] PAULUS : 257, 273 Abb. 15d.

 Bienen-Ragwurz total und einzelne Blüten

Bienen-Ragwurz / Ophrys apifera

Bild 06: Ophrys apifera_31. Mai 2014_Reisacher Berg
Die zweite Beobachtung von der Bienen-Ragwurz; die erste war vor mehr als 20 Jahren in einer kleinen Waldlichtung auf dem Harzberg.Bienen-Ragwurz in einem Halbtrockenrasen 

Bild  07:  Ophrys apifera_31.05.2014_Reisacher Berg
Die Kelchblätter der Bienen-Ragwurz sind rosa oder purpurn, manchmal auch weiß. Sie sind anfangs ausgebreitet, später hängen die seitlichen etwas herab und das mittlere ist stark zurückgebogen, richtet sich aber während des Verblühens wieder auf. Der Konnektivfortsatz ist deutlich ausgeprägt (K in Bild 02b), das Anhängsel am unteren Ende der Lippe ist nach unten gekippt, oft so weit eingeschlagen und nach innen gekrümmt, dass es nur schwer zu sehen ist [1]. Die Seitenlappen der Lippe sind in auffallender Weise dicht pelzig behaart.
[1]  Wie auf diesen Fotos.  Auch viele Fotos zeigen Blüten, die scheinbar kein Anhängsel haben, weil es so stark zurückgeschlagen ist, dass es nicht einmal bei Aufnahmen von der Seite zu sehen ist: GRIEBL: 276,li & re. ob; FÜLLER: 11; PRESSER: 321d & 322c,d; BUTTLER: 179 ob.; Flora alpina 2: 1145; auch  ragwurz-donauauen 

Bienen-Ragwurz_Blüten

Für die Bienen-Ragwurz werden keine  Bestäuber genannt [2] oder es wird festgestellt, dass sich diese Art ausschließlich selbst bestäubt [3]. Offenbar gibt es aber doch hin und wieder Bienenbesuch, wie Fotodokumente [4] und die Existenz von Hybriden der Bienen-Ragwurz mit den anderen heimischen Ragwurzarten [5] zeigen. Gelegentlich wurden Hornbienen bei Begattungsversuchen auf den Lippen der Bienen-Ragwurz beobachtet, die Bestäubungsrate scheint insgesamt sehr gering zu sein [6]. Die „Notlösung“   Selbstbestäubung scheint in Mitteleuropa weitgehend der Normalfall zu sein: „  falls die Bestäubung nicht durch Insekten erfolgt, krümmen sich die Pollinienstiele nach unten und bringen die Pollinien auf die Narbe der selben Blüte. Die Art scheint im Mittelmeergebiet überwiegend fremdbestäubt zu werden, in Mitteleuropa dagegen selbstbestäubt, vielleicht weil hier der Bestäuber selten ist oder fehlt.“ [7]
[2] GRIEBL:274       [3] PAULUS : 256; VÖTH 1999: 159.       [4] medienzentrum-fulda.ds  O.apifera&biene       [5] GRIEBL: 277         [6] Homepage BUND Hessen BUND bienen     
[7] BUTTLER: 263f

 

Fliegen-Ragwurz / Ophrys insectifera (O. muscifera)

 Bild  08:  Ophrys insectifera_05.05.2016_Schwarzföhrenwald auf dem Mariazeller Zwickel
Die Fliegen-Ragwurz wird exklusiv von der Grabwespe Argogorytes mystaceus bestäubt. Die rot– bis dunkelbraun gefärbte Unterlippe und die beiden schmalen  fühlerartigen Kronblätter geben der Blüte insektenähnliches Aussehen. Die Kelchblätter sind hellgrün, ein Anhängsel an der Lippe fehlt.

Fliegen-ragwurz: Teil des Blütenstandes

Die Fliegen-Ragwurz ist in Österreich die noch relativ (!) häufigste Ragwurzart.  Relativ, weil alle Arten in Österreich „stark gefährdet“, regional „vom Aussterben bedroht“ sind, die Fliegen-Ragwurz „nur“ im Vorland nördlich und südöstlich der Alpen und im Pannonischen Raum gefährdet ist.

 

Bild 09:  Ophrys insectifera_Juni 1995_Merkenstein
Eine von 2 Beobachtungen der Fliegen-Ragwurz. Ich  konnte die drei hier besprochenen Ragwurzarten in den letzten etwa 20 Jahren auf Vöslauer Gemeindegebiet  nur je  2 bis 3 mal  blühend beobachten,  jeweils an unterschiedlichen Fundorten.

    Fliegen-Ragwurz: obere Hälfte des Blütenstandes

Bild 10: Ophrys insectifera_19. Mai 2016_Schwarzföhrenwald auf dem Mariazeller Zwickel

l Fliegen-Ragwurz total